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Unschuldige
und schuldige Finger
(Eisenhüttenstadt)
Im Juni 1953 war ich 24 Jahre alt und arbeitete seit Mitte 1952 als Betriebs-, Meß- und Regelmechaniker im EKO. Hier wurde mir die Möglichkeit zur Teilnahme an einer FDGB-Schulung gegeben, die sehr viel zu meiner politischen Entwicklung beitrug. Denn nachdem ich von 1945 - 1948 als angeblicher „Werwolf' in mehreren sowjetischen Lagern inhaftiert gewesen war, hatte ich mich bis dahin sehr zurückgehalten. Mitglied des FDGB war ich während der Uhrmacherlehre in Friedland nur geworden, um mit meiner Freundin an einer Großtanzveranstaltung teilzunehmen und FDJ-Mitglied aus Angst. Denn an der Schlaubemühle war noch 1949 auf sowjetische Soldaten geschossen worden. Im EKO wurde ich nun gleich voll in die gesellschaftliche Arbeit einbezogen und sogar als Funktionär gewählt - wenn auch mit der niedrigsten Stimmenzahl.
Am 17. Juni 1953 arbeitete das ganze Werk ungestört. Nur die Bauarbeiter führten Demonstrationen durch und randalierten am Rathaus in Fürstenberg. Unsere BSMR-Werkstatt befand sich im gleichen Haus wie die Abteilungsleitung. Hier war alles ruhig und ging seinen gewohnten Gang. An diesem Tag gab es von keiner Seite irgendeine Beeinflussung.
Allerdings waren Sabotageakte im Werk sonst an der Tagesordnung. Zwei sind mir in besonderer Erinnerung, da sie meine Tätigkeit direkt betrafen. Eines Tages sollten Hochtemperaturmeßsonden eingebaut werden, doch da waren sie durch Entfernen der Platinelemente unbrauchbar gemacht worden. Ein anderer Fall: der Hochofen 4 sollte in Betrieb gehen, da fehlte das Quecksilber in den Ringwaagen der Druckmeßgeräte. Erneut waren meine unschuldigen Finger gefragt. Wie zuvor im Internierungslager wurden mir nun von der Werkspolizei Fingerabdrücke abgenommen.
Durch die falschen Anordnungen der Partei- und Staatsführung waren natürlich viele Menschen unzufrieden. Allerdings hatten die „Stalinstädter" dafür am wenigsten Grund. Hier war immer alles besser als im weiten Land. Außerdem hatte man den größten Teil der fehlerhaften Maßnahmen bereits vor dem 17. Juni zurückgenommen. Beispielsweise wurde der VEB Dienstleistungskombinat Stalinstadt bereits Anfang 1953 in eine Produktionsgenossenschaft des Handwerks umgewandelt.
Obwohl ich damals noch keine fortschrittliche Einstellung hatte, sind mir die aufhetzenden Aufrufe des RIAS - den ich früher ab und zu gehört hatte - in unguter Erinnerung. Ohne die Aktivitäten der Westsender wäre der 17. Juni nicht so dramatisch verlaufen. Meine negative Einstellung zu ihnen stammt aus dieser Zeit. In meiner Familie durften keine gehört werden. Erst vor kurzem machte mir mein Sohn (Jahrgang 1953) dies zum Vorwurf.
Heute weiß ich noch besser, daß ich recht hatte. Denn in der DDR war klar, wenn etwas verdreht oder gelogen wurde. Jetzt in der BRD weiß das selten einer. Überall wird verdummt, gelogen und betrogen.
Werner
Kieper
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