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(Eisenhüttenstadt)
Im
Juni 1953 lebte ich in Eisenhüttenstadt, das damals Stalinstadt hieß, war Schüler
der Erweiterten Oberschule „Klara Zetkin" in der Ernst-Thälmann-Straße
und wohnte im Schulinternat. Als Schüler der 11. Klasse war ich knapp 18 Jahre
alt und ehrenamtlicher Vorsitzender der GST-Organisation der Schule, welcher
einige Hundert Schüler angehörten. Zeitweilig bewohnte ich das gleiche
Internatszimmer mit Rudolf Bahro (zu dieser Zeit Vorsitzender der
FDJ-Organisation der Schule) und Wolfgang Thieme (Vorsitzender der
Sportorganisation der Schule). Durch meine gesellschaftliche Arbeit war ich
damals bestens über Stimmungen, Meinungen und Forderungen von einigen Hundert
Schülern informiert. Diese standen mehrheitlich zur DDR und dachten nicht an
Aktionen zu ihrer Liquidierung. Sie beteiligten sich an ehrenamtlicher Tätigkeit
und leisteten zahlreiche unentgeltliche Arbeitsstunden zum Aufbau des EKO1;
viele waren auch als Chormitglieder oder in Zirkeln und Arbeitsgemeinschaften
aktiv.
Wir Internatsschüler wohnten unmittelbar an der Straße, über die sich am 17. Juni 1953 ein vom EKO kommender Demonstrationszug in Richtung Rathaus Fürstenberg/ Oder, wo sich die SED-Kreisleitung befand, bewegte. Die Demonstration wurde überwiegend von einigen Hundert Bauarbeitern und neugierigen Mitläufern jüngeren Alters bestritten. An der Spitze fuhr ein PKW mit einem Lautsprecher, über den pausenlos RIAS-Anweisungen und -Parolen verbreitet wurden. Die überraschten Internatsschüler reagierten unterschiedlich. Einige rannten auf die Straße. Einzelne folgten dem Zug neugierig bis zur SED-Kreisleitung, deren Fensterscheiben kurz danach von Randalierern eingeschlagen wurden. Der größte Teil blieb jedoch im Schulgebäude.
Unvergeßlich ist mir das Verhalten der damals sechzehnjährigen Tamara Bunke. Ich War mit ihr ebenso befreundet wie mit ihrem Bruder Olaf, meinem Klassenkameraden. Beider Vater, Erich Bunke, war unser gemeinsamer Sportlehrer. Tamara arbeitete sehr aktiv in der GST-Organisation - speziell in der Sektion Schießen und Reiten - mit. An diesem Tag kam sie zu mir und verlangte Maßnahmen, um die vorhandenen Kleinkalibergewehre zu sichern und notfalls zur Verteidigung der Schule einzusetzen. Zum Glück kam es nicht zu dieser Konfrontation, da die sowjetische Kommandantur in Fürstenberg/Oder einen LKW mit bewaffneten Soldaten in Marsch setzte. Nachdem diese einige Mal mit Maschinenpistolen in die Luft geschossen hatten, zerstreuten sich die Demonstranten und richteten meines Wissens keine weiteren Schäden an.
Die Masse der Werktätigen in und um Stalinstadt hatte mit DDR-feindlichen Aktionen nichts zu tun. Mein Vater arbeitete auf einer Schiffswerft in Fürstenberg/Oder, meine Mutter in einem Kinderheim, weitere Verwandte als Traktorist, Kraftfahrer, Bäuerin, Schlosser, Transportarbeiter. Sie alle beteiligten sich nicht an Demonstrationen und legten auch nicht die Arbeit nieder. So war der „Spuk" schnell beendet.
In diesem Zusammenhang erinnere ich mich daran, daß ein EOS2-Schüler nach den Sommerferien nicht mehr zum Unterricht erschien. Er war mit weiteren Mitgliedern einer Terroristengruppe verhaftet worden. Diese besaß Waffen und führte Schießübungen in der Kiesgrube durch. Bei den Rädelsführern wurden Pläne zur Sprengung von Starkstromleitungen gefunden. Da unser Mitschüler als schwächster Tatbeteiligter eingeschätzt wurde, kam er mit der kürzesten Haftstraße davon. Später studierte er in der DDR und wurde sogar stellvertretender Betriebsleiter. Nach 1989 verlor er seinen Arbeitsplatz. Als ich ihn vor einiger Zeit traf, bekannte er sich noch zu seinem Leben in der DDR.
Für meine Freunde und mich lautete die wichtigste Schlußfolgerung aus dem 17.6.1953: jetzt erst recht! Mit mir und vielen anderen wurden damals auch Rudolf Bahro und Olaf Bunke Kandidaten der SED.
Horst Jäkel
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