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Nerven behalten
(Dresden)
Ich studierte damals am Institut für Lehrerbildung „Karl Friedrich Wilhelm Wander" • Dresden. Morgens auf dem Weg ins Institut war alles normal, mir fiel nichts auf. Unser Studienbetrieb verlief auch planmäßig. Plötzlich sprach es sich herum, daß in der Stadt eine Demonstration von „Gestrigen" durchgeführt und dabei auch solche Losungen wie „Wir wollen unseren König (oder Kaiser?) wiederhaben" gerufen worden seien. Ob so etwas auch auf Plakaten gestanden hatte, wußte niemand. Das brachte zwar eine gewisse Spannung ins Haus, aber sonst ließen wir uns nicht stören. Mir ist auch nicht bekannt - obwohl ich Mitglied der zentralen FDJ-Leitung war - daß an der Demonstration auch nur einer unserer Studenten teilgenommen hat.
Nach einem Volksaufstand sah das nicht aus; denn das hätte sich vorher rumgesprochen, und da hätte auch mehr Volk teilgenommen. Bereits in den ersten spontanen Aussprachen empfanden wir das Ganze als eine vom Westen gesteuerte und gezündete Provokation. Wir erfuhren, daß Otto Buchwitz auf dem Theaterplatz (vor der Semperoper) zu den dort Versammelten gesprochen und sich das „Volk" danach wieder zerstreut habe. Die Elbebrücken waren von sowjetischen Panzern abgesichert worden. Meines Wissens griffen sie nicht ein. Am Nachmittag führten wir eine Vollversammlung im Institut durch, auf der wir gegen die Provokation Stellung bezogen, und ich wurde als Mitglied in die SED aufgenommen. Viele von uns übernachteten im Institut, um es gegen eventuelle Übergriffe zu schützen. Aber alles blieb ruhig.
Am nächsten Tag setzten wir unsere Arbeit fort. Als ich am Nachmittag in meine Studentenwohnung zurückkehrte, erhielt ich in der Hechtstraße Begleitung von fünf jungen Radfahrern. Sie überholten mich ständig und kurvten provozierend um mich herum. Ich ging auf dem rechten Fußweg und hatte mein FDJ-Hemd an. Was sie mir zuriefen, weiß ich nicht mehr, habe auch nicht richtig darauf gehört. In Gedanken bereitete ich mich auf einen etwaigen Angriff dieser „Neonazis" vor, denn einen solchen Eindruck machten sie auf mich. Ich versuchte mich an die Nahkampfausbildung bei der Naziwehrmacht zu erinnern - zu irgend etwas sollte sie doch gut sein. Kampflos würden sie mich nicht kriegen. Dabei lief ich betont besonnen, ohne mein Tempo zu erhöhen. Ob das die Bande verunsicherte? Nach ungefähr zwanzig Minuten ließ sie mich jedenfalls ziehen.
Die Arbeit in den nächsten Tagen wurde durch viele Diskussionen bereichert. Presse und Rundfunk lieferten ständig Material dazu - auch von den „Aufständen" anderswo. Wir glaubten nie an einen Volksaufstand, an eine Demonstration zur Verbesserung des Sozialismus. Für uns war das ein gut vorbereiteter Putsch zur Beseitigung der DDR. Die späteren Rechtfertigungsversuche des Westens und seine Verherrlichung des 17.6.1953 bestärken mich bis heute in dieser Ansicht.
Günther Brückner
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