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Weshalb ich Antifaschistin bin und bleibe 

Gleich nach der „Wende“ begannen die Medien, Schmutzkübel über den „DDR-Unrechtsstaat“ auszuschütten. Fast täglich gab es neue Entdeckungen angeblicher Verbrechen in Krankenhäusern, Kliniken, Irrenanstalten usw. Es wurden „Folterhöllen“ und Massengräber gefunden. Waren die Sowjetsoldaten einst unsere Befreier vom Faschismus, so will man nun offenbar zunehmend ihr Ansehen ins Gegenteil verkehren. Nach meinem Eindruck wird in diesem Zusammenhang auch immer wieder versucht, die ungeheuren Verbrechen der Faschisten zu verharmlosen und vergessen zu machen. Beim Nachdenken darüber standen mir viele meiner eigenen Erlebnisse vor Augen.

Als ich im Jahre 1916 in Zechau-Leesen, Kreis Altenburg, geboren wurde, hatte meine Mutter fünf hungrige Kindermäuler zu stopfen, denn Vater war im Krieg. Ich kenne sie auch später nur schwer schuftend. Sie war Landarbeiterin auf dem Rittergut. Wenn sie von dort nach Hause kam, ging es auf das eigene Stück Feld, um die Rüben für zwei Schweine, Gänse und Karnickel sowie Kartoffeln und Gemüse für die eigene Ernährung anzubauen. Natürlich mußten wir Kinder, je nach unseren Kräften, mithelfen.

Zum Glück kehrte Vater gesund aus dem Krieg zurück und konnte wieder im Preßhaus der Brikettfabrik „Gertrud“ als Formenleger arbeiten. Aber die Bergarbeiter wurden sehr schlecht bezahlt und mußten um jeden Pfennig Lohnerhöhung schwer kämpfen. Bei Streiks war mein Vater immer dabei. Ich habe noch gut in Erinnerung, wie er über die Streikbrecher schimpfte: „Wenn wir dann mehr Lohn erkämpft haben, stecken sie ihn auch mit ein!“

Zechau-Leesen bestand aus zwei Ortsteilen, die beide einen Gasthof besaßen. Im Zechauer Volkshaus verkehrten die „Roten“ und im Leesener Gasthof die „Schwarzen“. Im Volkshaus war immer etwas los. Es gab dort den Arbeiter-Turn-und-Sportverein, die Kunstradfahrer, Fußballer, Arbeiter-Samariter und den Gesangverein. Sie führten schöne Veranstaltungen durch und unterstützten sich dabei gegenseitig. Meine Eltern besuchten auch regelmäßig die im Volkshaus stattfindenden Bildungsveranstaltungen der SPD.

Als meine jüngere Schwester - geboren im November 1919 - in die Schule kam, besuchte uns bald ihr Klassenlehrer Kurt Böhme. Ich kannte ihn bereits gut, denn da meine Eltern Freidenker waren, unterrichtete er mich im Fach Lebenskunde. Seitdem war er bei uns wie zu Hause, diskutierte viel mit meinen Eltern und brachte stets die „Rote Arbeiterillustrierte“ der KPD sowie Bücher von Arbeiterschriftstellern mit. In seinen Lebenskundestunden sprachen wir auch über Kirche und Bibel sowie über die Kreuzzüge, die angeblich anderen Völkern das Christentum bringen sollten und in Wirklichkeit blutige Eroberungskriege waren, ebenso wie der Dreißigjährige Krieg. Am meisten sprachen wir aber über die Ausbeutung der Menschen durch die Menschen und lernten auch Gedichte kennen wie „Die schlesischen Weber“ oder „Bet’ und arbeit’ ruft die Welt“. Letzteres ist mir noch heute vollständig im Gedächtnis.

Kurt Böhme diskutierte auch im Volkshaus oft mit den Arbeitern. Es war längst kein Geheimnis mehr, daß er der KPD angehörte, obwohl die Weimarer Republik ihren Lehrern dies verbot. In Zechau hätte ihn aber niemand verraten. Und so fuhr er zunächst jedes Jahr nach Weimar, um erneut einen Berufseid abzulegen, der ihm die Mitgliedschaft in seiner Partei untersagte. Im Jahre 1932 wurde er allerdings nach Gehren (Thüringer Wald) strafversetzt, kurz danach verraten und ins Zuchthaus gebracht. Als er im Jahre 1935 eines Abends überraschend bei meinen Eltern auftauchte, berichtete er, daß man ihn gequält und gefoltert hatte, um ihn zum Verrat an seinen Genossen zu zwingen. Mein Vater hatte für ihn einen großen Koffer Bücher versteckt, die beide nun gemeinsam im Backofen verbrannten. Diese Schriften hätten unserer Familie sehr gefährlich werden können. Danach verschwand Kurt Böhme wieder. Später erfuhren wir, daß er über die Tschechoslowakei nach Spanien zu den Internationalen Brigaden gelangt war, wo er in Gefangenschaft geriet und an die deutschen Faschisten ausgeliefert wurde. (Glücklicherweise überstand er auch die Schrecken des Konzentrationslagers und konnte sich nach der Befreiung wenigstens noch eine Zeit lang dem Aufbau unseres neuen Schulsystems widmen.)

Inzwischen war ich in Plauen als Dienstmädchen in Stellung gegangen, heiratete nach einiger Zeit, und im Dezember 1937 wurde unser Sohn geboren. Allerdings dauerte unser Glück nicht lange, denn der junge Familienvater wurde zum Bau des „Westwalls“ dienstverpflichtet. Dann begannen die deutschen Faschisten den Krieg, und mein Mann mußte erst an der Besetzung Frankreichs und danach am Überfall auf die Sowjetunion teilnehmen, wo er in Gefangenschaft geriet. Manchmal wußte ich überhaupt nicht, ob er noch lebte. Einmal hatte ich zwei Jahre lang keine Nachricht von ihm.

Wer seine Augen nicht verschloß, mußte sehen, welches unermeßliche Leid die Faschisten den Menschen anderer Länder zufügten. Meine Schwester Ilse wurde, obwohl sie gehbehindert war, im Jahr 1943 in der Munitionsfabrik HASAG-Altenburg dienstverpflichtet. Dort arbeiteten schon seit langem kriegsverschleppte Zwangsarbeiter. Nachdem aber das Ghetto in Warschau vernichtet worden war, kam ein großer Transport Frauen an. Sie mußten im Keller unter der Werkhalle kampieren und durften nur zur Arbeit herauf. Alle waren in graue Kittel gekleidet und trugen Holzschuhe an den Füßen. Unterwäsche besaßen sie kaum. Es war natürlich streng verboten, mit ihnen zu sprechen. Ihre Wärterinnen, deutsche Frauen, paßten wie Furien auf sie auf. Es konnte aber doch nicht verhindert werden, daß es hier und da mal zu einem Gespräch kam. Meist waren es intelligente Frauen, entweder waren sie selbst Ärzte, Zahnärzte, Wissenschaftler oder die Frauen von solchen. Nachdem man ihre Männer verschleppt hatte, sagten SS-Offiziere zu ihnen, sie sollten für sich und ihre Kinder viele Sachen einpacken, auch alle Wertsachen, sie kämen für längere Zeit nach Deutschland. An der Grenze wurden erst ihre Kinder weggenommen, dann ihr ganzes Hab und Gut. Sie fragten die Posten oft nach dem Verbleib ihrer Kinder. Anfangs sagte man ihnen stets, die Kinder seien gut aufgehoben. Schließlich wurde es einem von ihnen zu bunt, und er knallte den unglücklichen Müttern an den Kopf: „Die Kinder sind schon längst vergast!“ Meine Schwester erzählte, daß die Frauen in der ersten Zeit oft weinten, viele wurden krank. Die Kranken kamen in einen anderen Kellerraum, und keiner durfte sich um sie kümmern. Die Frauen starben weg wie Fliegen. Keiner erfuhr je, wo ihre Leichen verscharrt wurden.

In Zechau, wo meine Eltern wohnten, gab es einen bekannten Naziaufseher, Herrn D. Mit einigen anderen Männern hatte er Russen und Polen zu bewachen. Diese waren in den Baracken des ehemaligen Eugen-Schachtes in Großröda untergebracht. Täglich wurden sie frühmorgens in den Gertrud-Schacht zur Arbeit geführt und abends zurück. Auf dem Rückweg suchten sie oft abgeerntete Felder nach ein paar Ähren, Kartoffeln oder Mais ab. Herr D. ließ sie gewähren, aber vor dem Einrücken in die Baracken mußten sie sämtliche Taschen leeren. Da gab es kein Pardon. Wild drosch er auf diejenigen ein, die sich weigerten. Selbst an den geringen Essenportionen der Gefangenen hat er sich bereichert. Als nach dem Ende des Faschismus solche wie er eingekerkert wurden, hatten sie angeblich nur ihre Pflicht getan und jammerten nun, daß sie auch Menschen seien und Hunger hätten.

Im Frühjahr 1945 hatten wir in Plauen täglich Bombenangriffe. Wir getrauten uns kaum noch in die Stadt zu gehen oder in den Wald hinaus. Trotzdem mußte ich doch einmal mit meinem damals siebenjährigen Sohn an die Luft. Meine Bekannten, mit denen wir sonst immer gingen, hatten Plauen längst verlassen. So liefen wir allein in Richtung Holzmühle. Wir benutzten den Weg am Waldrand entlang und nicht die Fahrstraße. Als wir uns der Mühle näherten, sahen wir unweit davon einen Bombentrichter. Am Rand des Trichters stand ein großer Leiterwagen, wie ihn die Bauern damals zum Getreideeinfahren benützten. Wir konnten nur nicht erkennen, was auf dem Wagen aufgeschichtet war. Plötzlich kamen zwei Männer aus der Mühle und kletterten auf den Wagen. Jetzt sah ich, es waren Leichen darauf. Die Männer packten sie an Armen und Beinen und warfen sie in den Bombentrichter. Hastig rannte ich mit meinem Jungen davon. Ich hoffte nur, daß uns niemand bemerkt hatte. Die Holzmühle diente damals als Gefangenenlager für sowjetische Zivilgefangene. Sie wurden oft durch unsere Straße zur Arbeit geführt. Die meisten waren noch halbe Kinder. An den Tagen, an denen die Asche- und Futterkübel herausgestellt wurden, stürzten sie sich wie wild darüber her. Da konnten sie nicht einmal die Schläge der Bewacher abhalten. Und die meisten Plauener Bürger sagten: „Seht nur mal die Dreckschweine an!“

Ende März 1945 wurden das Haus meiner Schwiegermutter und die Nachbarhäuser schwer durch Bomben beschädigt. Sie zog mit ihrer Tochter und deren schwerkrankem Kind nach Netzschkau. Nun war ich mit meinem Sohn ganz allein. Wenige Tage danach kam meine Schwiegermutter zurück und überredete mich, die Stadt zu verlassen. Ihre Verwandten wollten uns aufnehmen. In Netzschkau entschloß ich mich jedoch, zu meinen Eltern nach Zechau zu fahren.

Die Personenzüge verkehrten damals sehr unregelmäßig, aber mittags sollte wieder mal ein Zug in Richtung Altenburg eingesetzt werden. Es wurde eine qualvolle Fahrt. Der Zug war vollgestopft mit Menschen und mußte außerdem immer wieder halten. Mehrere Male kamen Tiefflieger, dann wieder erhielten Militärzüge Vorfahrt. Einmal aber kam ein Güterzug mit offenen Wagen. Sie schienen zwar vollbeladen, aber womit, war nicht festzustellen. Später, als unser Zug wieder fuhr, sahen wir auf der anderen Seite immer wieder graublaue Haufen liegen. Später sickerte dann durch, der eine Güterzug war voller KZ-Häftlinge gewesen. Man hatte sie in die Loren hineingepfercht, und die Häufchen entlang der Strecke waren verstorbene Häftlinge, die einfach herausgeworfen wurden.

Es war schon fast Mitternacht, als wir in Altenburg ankamen. Weiter fuhr der Zug nicht, und ich mußte mit meinem Sohn wie viele andere Reisende nach Rositz laufen. Wir hatten beide einen Rucksack mit ein paar Sachen, ich einen großen und mein Sohn einen kleineren. Das war unser Luftschutzgepäck. In Plauen hatten wir es bei jedem Fliegeralarm mit in den Keller genommen. Inzwischen waren wir beide derart erschöpft, daß wir die Rucksäcke am liebsten in den Straßengraben geworfen hätten. Später waren wir froh, daß wir es nicht getan hatten. Denn nachdem beim letzten Bombenangriff auf Plauen am 8. April auch unser Wohnhaus in Schutt und Asche versank, waren die in den Rucksäcken steckenden Sachen unser einziger Besitz.

Später wohnte ich dann bei meiner Schwester in Kriebitzsch. Sie hatte uns aufgenommen, da ihr Mann schon vor einiger Zeit als vermißt gemeldet worden war und ich ebenfalls schon lange kein Lebenszeichen von meinem Mann hatte. Wir versuchten nun gemeinsam, uns mit unseren Kindern durchzuschlagen. (Mein Mann kam erst Ende 1947 schwerkrank aus Gefangenschaft zurück.)

Als die amerikanischen Panzer heranrückten und für Kriebitzsch „Feindalarm“ gegeben wurde, sahen wir von unserem Fenster aus, wie sich deutsche Offiziere und Soldaten eiligst auf dem Wiesenweg nach Rositz absetzten. Nur die Flak bei Posa ballerte noch sinnlos herum. Denn die Nazioffiziere hatten den jugendlichen Flakhelfern weiterzukämpfen befohlen, bevor sie selbst sich verdrückten. Ergebnis war, daß amerikanische Tiefflieger diese Flakstellung angriffen und das Leben der Kindersoldaten auslöschten. Dabei flogen die Tiefflieger auch über den Ort und schossen ein paarmal in das Dorf hinein. Dadurch kam, so nahe vor Kriegsende, ein sechzehnjähriges Mädchen ums Leben. Es war das einzige Kind seiner Eltern. Noch lange Zeit sah ich von meinem Fenster aus den Mann tagtäglich am Grab seiner Tochter weinen.

Im August 1945 stand ein Aufruf in der Zeitung: Junge Antifaschisten, die beim Aufbau der neuen Schule mithelfen wollten, sollten sich melden. Meine Schwester machte mir Mut und meinte, das wäre doch das Richtige für mich.

Auf der Fahrt nach Altenburg dachte ich: Da werden sich wohl kaum welche melden. Wo sollen jetzt Antifaschisten herkommen? Ich sollte aber eines Besseren belehrt werden. Der große Platz vor dem Landratsamt, der Treppenaufgang, der Lichthof innen und sämtliche Gänge waren dichtgefüllt mit jungen Leuten. Ich wunderte mich, wo auf einmal alle die Antifaschisten herkamen.

Es dauerte natürlich endlos, bis alle dran waren. Ich hatte Glück und wurde angenommen. Nach einem Vorbereitungslehrgang von drei bis vier Monaten hieß es dann: „Nun zeig’ mal, was du kannst!“ Das war ein äußerst schwerer Anfang. Wir waren vier Neulehrer und über 400 Schüler, darunter sehr viele Flüchtlingskinder. Mit zwei meiner Kollegen gab es ein gutes Einvernehmen. Aber mit dem amtierenden Schulleiter konnte man nicht warm werden. Er ließ niemanden an sich herankommen und trug ständig eine dunkle Brille. Ich hatte immer das Gefühl: Das ist ein untergetauchter Nazi. Wahrscheinlich hatte ich recht, denn noch vor Gründung der DDR war er auf einmal spurlos verschwunden. Sicher hat er dann auch einige der später eingestellten Lehrer nach dem Westen abgeworben. Bis 1956 waren es an der Kriebitzscher Schule acht Lehrer. Sie hatten in der DDR eine kostenlose Ausbildung genossen und verschwanden zum Dank dafür kurz nach ihrem ersten Einsatz in der Schule.

An einen anderen Lehrer, Herrn K., wurde ich im Oktober 1992 beim Lesen des „Heimatkuriers für das Osterland“ erinnert. Darin wurde über den „Fall des Lehrers H. K. aus Ehrenhain“ berichtet. Ein Teil des Artikels trug die Überschrift „Die Verhaftungswelle unter den Lehrern des Landkreises Altenburg im Jahre 1950“. Das machte mich sehr stutzig und nachdenklich. Denn zu dieser Zeit war ich schon als Neulehrerin an der Kriebitzscher Schule tätig. Von einer „Verhaftungswelle“ war mir nichts bekannt. Aber durch die Weiterbildungsveranstaltungen waren mir H. K. und seine Frau ein Begriff, weil sie sich bei solchen Veranstaltungen stets besonders hervortaten. Wir kamen meistens in der Aula der Lutherschule zusammen. Hier wurden Vorträge gehalten und auch Unterrichtsstunden vorgeführt. Seminare fanden dann in den Klassenräumen statt. Sehr viele Neulehrer waren Flüchtlinge, die hier Gelegenheit bekamen, sich eine neue Existenz aufzubauen. So auch das Ehepaar K. Was aber taten sie? Sie suchten schon vor 1950 Verbindung zu „Gleichgesinnten“, gründeten eine „Widerstandsbewegung“ und verbreiteten die ihnen aus Westberlin und Westdeutschland gelieferten Propagandaschriften. Man muß sich das einmal richtig vor Augen halten. Der furchtbare faschistische Krieg mit seinen ...zig Millionen Toten, unendlich vielen Greueltaten und großen, sinnlosen Zerstörungen war kaum vorüber. Die Menschen hatten eben erst aufgeatmet, daß die Bombennächte vorbei waren und die Rote Armee uns befreit hatte. In der jungen DDR gingen fortschrittliche Kräfte daran, die Menschen aus Lethargie und Mutlosigkeit aufzurütteln. Es wurden doch alle Kräfte gebraucht, um die schweren Kriegsschäden zu beseitigen. Und gerade in dieser Zeit gründete das Ehepaar K. eine Widerstandsgruppe. Was waren denn das für Menschen? Wofür und wogegen waren sie denn? Sie waren zwar durch den Krieg heimat- und besitzlos geworden. Aber wer war denn schuld daran? Sie suchten Verbindungen in die BRD zu einer Zeit, als dort die erbittertsten Gegner der jungen DDR an der Macht waren und ein Herr Globke ihr Staatssekretär; als viele Kriegsverbrecher, Naziblutrichter oder KZ-Henker dort völlig unbehelligt lebten und hohe Pensionen erhielten. Wes Geistes Kind waren also diese beiden Lehrer? Drängt sich da nicht der Gedanke auf, daß sie noch immer von faschistischen Ideen besessen waren? H. K. wurde im Jahr 1950 wegen antisowjetischer Hetze und Spionage verurteilt. War er wirklich unschuldig? Als er 1956 wieder freikam, ging er sofort nach dem Westen, wo er als Held gefeiert wurde. Inzwischen hat man im Altenburger Gymnasium (ehem. Karl-Marx-Schule) eine Gedenktafel für das Lehrerehepaar K. angebracht. Darauf befinden sich auch die Namen von zwei Oberschülern. Damit soll wahrscheinlich unterstrichen werden, wie grausam das DDR-System war. Für mich sind aber die beiden Lehrer grausam und verantwortungslos, weil sie diese Schüler in ihren Widerstand gegen die junge DDR einbezogen haben - genauso grausam und verantwortungslos wie jene bereits erwähnten Nazioffiziere gegenüber den jungen Flakhelfern.

Wie jetzt oft betont wird, war in der DDR der Antifaschismus „befohlen“. So „befohlen“, fuhr auch unsere Schule jedes Jahr mit den Teilnehmern an der Jugendweihe nach Buchenwald. Als ich das erste Mal an so einer Fahrt teilnehmen konnte, wurde im Anschluß an die Besichtigung ein Film gezeigt, wie das Lager aussah, als die Amerikaner kamen. Da waren die Baracken zu sehen und wie die Unglücklichen darin hausen mußten, das kleine Lager, der Pferdestall - sprich Genickschußanlage - und das Krematorium mit einer ganzen Reihe Verbrennungsöfen, auch die großen Leichenberge davor. Das war so furchtbar, daß man es lebenslang nicht vergißt. Sicher wäre es gut gewesen, wenn sich das alle Bürger ohne Ausnahme hätten ansehen „müssen“.

Besonders in den alten Bundesländern hört man jetzt öfter von der Auschwitzlüge. Ich kann mich erinnern: Als dort vor Jahren ein Prozeß gegen einen der Thälmann-Mörder lief, war der DDR-Rechtsanwalt Dr. Kaul Nebenkläger. Ab und zu wurden im Fernsehen Berichte davon gebracht. Einmal sah man vor dem Gerichtsgebäude eine Gruppe junger Leute stehen. Sie hatten einen Eselskopf übergestülpt und auf dem Plakat darunter stand zu lesen: „Ich Esel habe an die Auschwitzlüge geglaubt!“ Es wäre gut gewesen, wenn die dortigen Schulverwaltungen es fertiggebracht hätten, solche Jugendliche in einen Bus zu laden, um sie „gezwungenermaßen“ das Lager Auschwitz besichtigen und die vorhandenen Filme ansehen zu lassen. Ob sie danach auch noch von der „Auschwitzlüge“ gefaselt hätten?

Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, muß ich sagen, daß es mir - die ich im Kaiserreich geboren und in der Weimarer Republik aufgewachsen bin und als junge Frau die furchtbare Zeit des Hitlerfaschismus und des II. Weltkrieges erlebte - in der DDR am besten ergangen ist. In ihr war meine Familie geborgen, hier konnte ich ehemaliges Dienstmädchen Lehrerin werden und in all den Jahren an unserer Schule erleben, daß die Kinder von Arbeitern und Kleinbauern endlich studieren durften. Und wie stolz war ich auf meine ehemaligen Schüler, wenn sie „etwas geworden“ waren!

Erna Himmer

 


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