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Bauernversammlung in Kyritz

 Nach den Wirren des Zweiten Weltkrieges kam ich - damals 31 Jahre alt - mit einer Gruppe von Umsiedlern nach Blandikow im heutigen Kreis Wittstock. In Blandikow gab es überwiegend reiche Groß- und Mittelbauern. Für sie waren wir willkommene Arbeitskräfte. Ich arbeitete auf einem Großbauernhof. Die Entlohnung erfolgte ausschließlich in Naturalien - Suppe, Brot und Magermilch. Wir wurden als Menschen zweiter Klasse behandelt.

Der einzige, der sich um uns Umsiedler kümmerte, war der Bürgermeister. Zusammen mit dem sowjetischen Kommandanten war er bemüht, uns zu helfen und die Verhältnisse im Dorf gerechter zu gestalten. Es paßte den Großbauern gar nicht, daß er Bürgermeister geworden war. Er führte öfter Haussuchungen durch, weil einige Bauern ihrer Ablieferungspflicht nicht nachkamen. Das war vor allem notwendig, um die tägliche Milch für die Kinder zu sichern. Zu dieser Zeit wurden viele Versammlungen durchgeführt und die neuesten Anweisungen erläutert. In der Hauptsache ging es um Ablieferungsrückstände.

Auf einer Einwohnerversammlung Ende August 1945 teilte der Bürgermeister mit, daß in den nächsten Tagen in Kyritz eine wichtige Versammlung zur Landaufteilung stattfinden werde. Der Bürgermeister meinte, daß auch Blandikow in Kyritz vertreten sein müsse. Wer, wurde noch nicht festgelegt. Daß es keiner von den ansässigen Bauern sein würde, hatten wir uns schon gedacht.

Neben uns Landarbeitern gab es im Dorf noch eine zweite Gruppe von Umsiedlern. Das waren ehemalige Großbauern. Sie hatten Pferde und zum Teil auch anderes Vieh mitgebracht. Sie heizten dem Bürgermeister ganz schön ein und wollten wissen, was nun wird, ob sie hierbleiben würden oder ob es wieder in ihre ehemalige Heimat zurückgehe. Ihnen wurde gesagt: „Ihr bleibt hier, bekommt Land und werdet angesiedelt.“ Wir Umsiedler wollten unbedingt eine Bodenreform.

Schließlich bat der Bürgermeister einige Landarbeiter aus den Reihen der Umsiedler, darunter auch mich, an der Kyritzer Veranstaltung teilzunehmen. Das war vom Bürgermeister klug gedacht, denn die einheimischen Landarbeiter, die meist bei den Großbauern beschäftigt waren, verhielten sich zurückhaltend. Ein großer Teil von ihnen wollte keine Veränderung der bestehenden Verhältnisse, zumal sie von den Großbauern, die ihre „fortschrittliche“ Gesinnung beweisen wollten, jetzt vielfach besser als früher behandelt wurden. Ich habe selbst gesehen, wie eine Bäuerin ihre Wäschetruhe aufmachte und ihre Landarbeiterin aufforderte, sich daraus zu bedienen.

Am 2. September 1945, dem Tag der Kyritzer Versammlung, fuhren wir Blandikower mit dem Pferdewagen der Kommandantur bis nach Herzsprung. Dort trafen wir mit anderen Leuten aus den umliegenden Dörfern zusammen. Wir waren etwa 15 Personen. Zu Fuß ging es in Richtung Kyritz weiter. Als wir dort ankamen, war der Versammlungsraum bereits überfüllt.

Wir stellten uns in die Menge vor dem Gebäude. Hier ging es lebhaft zu. Die Gespräche drehten sich hauptsächlich um die Aufteilung der Güter. Keiner wußte so recht Bescheid, aber dennoch wurde diskutiert, als sei die Landaufteilung beschlossene Sache. In der Menge hatten sich zwei Gruppen gebildet. Eine, die dafür und eine, die dagegen war. Sie redeten so heftig aufeinander ein, daß es beinahe zu einem Handgemenge gekommen wäre. Ich kann mich noch genau erinnern, daß einige Leute aus dem Ort Ganz lauthals verkündeten: „Das sollen die sich mal wagen, unser Gut in Ganz anzufassen! Da sind wir alle da, da gibt es solche Dresche, daß keiner rankommt. Da passen wir schon auf.“

Von dem, was sich im Saal abspielte, bekamen wir nicht allzuviel mit. Zunächst interessierte uns, wer dort sprach. Uns wurde gesagt, daß es einer von der KPD aus Berlin sei, ein gewisser Wilhelm Pieck.

Als es etwas Wichtiges gab, wurde es auch draußen ruhiger. Die am dichtesten an der Tür standen, gaben die Informationen weiter. So erfuhren wir, daß die Junkergüter und die Wirtschaften von Naziaktivisten an Landarbeiter und Kleinbauern sowie an Umsiedler aufgeteilt werden. Ich hörte auch, daß im Saal angefragt wurde, was mit dem Vieh wird. Geantwortet wurde, das Vieh wird mit verteilt. Wieder ging in der Menge die Diskussion los und einige sagten: „Dazu wird es nicht kommen, vorher verschwindet das Vieh.“ Der Redner im Saal teilte auch mit, daß Umsiedler und andere Siedlungsinteressenten Kommissionen zur Aufteilung der Güter bilden sollten.

Uns, die wir Land haben wollten, bewegten zahlreiche Fragen. Mir war vieles unklar. Wie kann der Acker gerecht aufgeteilt werden? Wo sollten die Ställe für das Vieh herkommen? Einige in der Menge berichteten, daß in Schönberg bereits Scheunen abgerissen würden, um Wirtschaftsgebäude für die Siedler aus diesem Material zu errichten. Viel wurde über die Aufteilung der Gutswälder diskutiert, vor allem wegen der Baumaterialgewinnung. Einige hatten schon konkrete Vorstellungen. Sie mußten vorher bereits mehr als ich von der Bodenreform gewußt haben. Als die Versammlung zu Ende war, wurde noch heftig weitergestritten. Ich traf dann noch einige Bekannte aus Wittstock, die im Saal gewesen waren, darunter Otto Rhinow, einen alten KPD-Genossen. Wir haben uns längere Zeit unterhalten. Dem Gespräch entnahm ich, daß sie in Wittstock schon mit der Vorbereitung der Landaufteilung begonnen hatten.

In den nächsten Tagen sprachen wir Landarbeiter fast nur über die Kyritzer Versammlung und die Landaufteilung. Da in Rossow die Aufteilung des Gutes in vollem Gange war, ging ich dorthin und bewarb mich um Land. 

Christel Genschmer


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