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Meine Arbeit als Ingenieur im sozialistischen Großbetrieb

Mein Werdegang in der DDR verlief völlig normal und gewöhnlich. Ich wurde 1954 geboren, besuchte den Kindergarten, die Schule bis zur zehnten Klasse und erlernte einen Beruf.

Große Auswahl für die Berufsausbildung gab es in der Kreisstadt Neustrelitz nicht. Die drei großen Betriebe waren der VEB Elektroanlagenbau, das RAW (Reichsbahn-Ausbesserungs-Werk) und TGA (Technische Gebäude-Ausrüstung, also Wasser, Heizung, Lüftung). Es gab eine Berufslenkung und von dieser wurde orientiert, dass das Handwerk keine Zukunft hat (1971). Sonst wären noch Berufe in der Landwirtschaft möglich gewesen, zu denen ich bis auf das Kartoffelsammeln in den Herbstferien keinerlei Beziehung hatte.

Da ich technisch interessiert war und schon damals einige Grundkenntnisse hatte, wählte ich den Beruf „Elektromonteur". Als Lehrling lernte ich überwiegend Installation. Schwerpunkt war damals Neubrandenburg, das von einer Kleinstadt mit wenig bebauter Fläche rund um die mittelalterliche Stadtmauer zur Bezirksstadt ausgebaut wurde. Es wurden sehr viele Wohnungen gebaut, neue Stadtteile entstanden. Ich erlebte den industriellen Wohnungsbau und machte die Erfahrung, dass Wohnungen im Laufschritt installiert werden. Alles ist vorgefertigt, alles ist genormt, jeder Handgriff ist genormt. Man konnte sich zum Spezialisten für Lüsterklemmen, für Steckdosen, für Kellerinstallation oder Klingelanlagen entwickeln. Das alles war sehr produktiv, es wurde im Leistungslohn gut verdient, aber es entsprach nicht meinen Anlagen. Bei mir will immer der Kopf mitarbeiten, der hat aber beim Anklemmen der x-tausendsten Steckdose nichts zu tun. Also wird die Arbeit sehr öde. Nützlich konnte er bei anderer Arbeit werden. Die Lehrlingsgruppe montierte und verdrahtete in der Werkstatt Leuchtstofflampen. Ich hatte am Ende die wenigsten Lampen fertig, meine Lampen waren aber die einzigen, die funktionierten.

Nach Abschluss der Lehre (1973) zog unsere Familie an den Rand Berlins, nach Glienicke. Mein Vater hatte zuvor schon einige Jahre in Anklam und dann in Berlin gearbeitet und war nur an den Wochenenden zu Hause. Von meinem Lehrbetrieb in Neustrelitz wurde mir der VEB Kombinat Elektroprojekt und Anlagenbau Berlin empfohlen. Dort bewarb ich mich und wurde eingestellt. Ich arbeitete bis zur Einberufung zur NVA auf der Baustelle des Gleichrichterwerkes Stahnsdorf. Die Arbeit war anders und doch ähnlich der im Wohnungsbau. Es gab nur wenige Steckdosen, dafür waren endlose Meter Leitung und Kabel abzuisolieren und Kabelbahnen ohne Anfang und Ende zu montieren. Wieder war ich nicht zufrieden. Nur die Hände hatten Arbeit und die schafften nicht die gewünschte Leistung.

Durch die Einberufung zur NVA wurde ich von dieser Baustelle „erlöst". Ich wurde Panzerfahrer im Panzerbataillon eines Mot.-Schützen-Regiments. Da die Mot.-Schützen in der NVA materiell die letzten waren, gab es sehr viel verschlissene bis schrottreife Technik. Ich lernte das Fahren solcher Stahlmassen und auch die Instandsetzung großer Dieselmotoren. Diese Praxis und Kenntnisse haben mir dann später im Berufsleben bis heute viel genutzt. Gegen Ende meiner dreijährigen Armeezeit überlegte ich, ob und wie ich mich beruflich verändern könnte und sollte. In dieser Zeit erhielt ich einen Brief von meinem Betrieb. Man wollte mich zum Studium an die Ingenieurschule für Elektrotechnik und Maschinenbau in Berlin-Lichtenberg delegieren. Ich bewarb mich für das Studium und wurde nach meiner Entlassung von der NVA Student. Unmittelbar vor und nach dem Ende meiner Armeezeit wollte man mich noch für den Zoll und für die Polizei werben. Ich hätte dort schon etwas „Silber" an meiner Uniform gehabt, bei der NVA war ich Unteroffizier, aber ich konnte keine Uniformen mehr sehen.

Viele werden nicht wissen was ein Fachschulstudium war. Ehemalige Abiturienten und Hochschulstudenten blicken oft etwas geringschätzig auf dieses Studium. Innerhalb von ein bis zwei Jahren waren der wichtigste Abiturstoff, speziell Mathematik, Physik, Grundlagen der Elektrotechnik und natürlich konzentriert Russisch und Gesellschaftswissenschaften als Grundlage zu bewältigen. Dazu kam im zweiten und dritten Studienjahr eine umfangreiche, detaillierte fachspezifische Ausbildung. Die Ingenieurarbeit war bereits am künftigen Arbeitsplatz zu schreiben. Diese Ausbildung dauerte also drei Jahre, mit der Lehre gerechnet fünf Jahre, gegen sechs bis sieben Jahre mit Abitur und Studium. Der Vorteil war, dass die Studenten bereits im Fach vorgebildet waren und praktische Erfahrung mitbrachten. Wir hatten drei Abiturienten in der Seminargruppe, die zwar die Grundlagenausbildung spielend bewältigten, aber keine innere Beziehung zum eigentlichen Fach hatten und die fachspezifische Ausbildung nur rein abstrakt verarbeiten konnten. Es erfolgte eine gnadenlose Selektion durch halbjährliche Prüfungen in sämtlichen Fächern. Die Überfülle des Stoffs war in der kurzen Zeit kaum zu verarbeiten. Letztlich erreichten nur etwa ein Drittel der Studenten den Abschluss „Ingenieur für Elektroenergieanlagen".

Zum Ende der Studienzeit wurde man an seinen künftigen Arbeitsplatz vermittelt. Ich kehrte natürlich wieder in meinen Delegierungsbetrieb zurück. Praktisch kannte ich meinen Betrieb noch gar nicht, obwohl ich schon fast sechs Jahre Betriebszugehörigkeit hatte. Die Armee- und Studienzeit zahlten mit. Im Rückblick sehe ich, dass mein Betrieb viele interessante Stellen für mich gehabt hatte. Es hatte Arbeit in unterschiedlichsten Projektierungs-, Entwicklungs- oder Inbetriebnahme- und Serviceabteilungen sein können, was mich alles interessiert hatte. Wie kam man nun an seine Arbeitsstelle als Ingenieur? Die Studenten die von Betrieben delegiert waren, das waren die meisten, mussten selbstverständlich wieder dorthin zurück. Sie waren dort eingeplant und ein Ausbrechen war fast unmöglich. Für die nicht delegierten gab es eine Stellenliste vom Ministerium für Elektrotechnik und Elektronik, aus der man sich eine Stelle aussuchen musste. Studenten die ihre „Traumstelle" selbst gefunden hatten, konnten diese nicht annehmen, wenn sie nicht auf der Liste stand. Selbstverständlich bekam jeder durch diese Absolventenvermittlung eine Stelle, nur nicht die, die den jeweiligen Fähigkeiten, Neigungen und Wünschen entsprach. In meinem Fall fand im Kulturhaus eine Veranstaltung mit allen Absolventen statt, die dem Betrieb zugeteilt waren. Es gab fertige Listen, in denen auf der einen Seite die Stellen in den Bereichen und Abteilungen in der Reihenfolge von A bis Z standen, auf der anderen Seite standen die Namen der Absolventen in der Reihenfolge von A bis Z. So kam der Absolvent Schmidt in die Abteilung SVP3.

Bei einem Gespräch mit dem Abteilungsleiter wählte ich aus drei Möglichkeiten das „Dieselprogramm". Es handelte sich um ein Programm für die Automatisierung der Stromerzeugung auf Schiffen, für automatische Notstromanlagen im Schiff- und Landeinsatz. Das Thema hörte sich interessant an und Dieselmotoren kannte ich schon. Wie ich später merkte, war diese Entscheidung richtig, denn die anderen Gruppen der Abteilung hatten kein eigenes Programm, sondern nur fremde Projekte für die betriebliche Bürokratie zur Fertigung umzusetzen. Diese Gruppen wurden bald nach Einführung der D-Mark aufgelöst, den meisten Kollegen wurde gekündigt. Diese Art von Arbeit gab es nicht mehr.

Zunächst hatte ich noch an meinem künftigen Arbeitsplatz die Ingenieurarbeit über ein betriebliches Thema zu schreiben. In Vorbereitung darauf tischte man mir zunächst technische Dokumentationen über Notstromanlagen auf und ließ mich im eigenen Saft schmoren. Das waren standardisierte Erzeugnisse, die jährlich hundertfach produziert wurden. Ich studierte diese Unterlagen intensiv bis zum letzten Relaiskontakt, verstand sie und fand auch Fehler und Unstimmigkeiten. Schließlich bekam ich das Thema für meine Ingenieurarbeit und musste in der vorgegebenen Zeit damit fertig werden. Mit großem Fleiß und sehr viel Energie schuf ich ein technisches Projekt für den Parallelbetrieb von zwei Notstromanlagen mit sämtlichen dazugehörigen Unterlagen. Dazu gehörten Stromlaufpläne, Bauschaltpläne, Stücklisten, technische Beschreibungen und Entwürfe für die Konstruktion. Weiterhin war noch ein Stück Literatur über das Thema im allgemeinen und besonderen zu schreiben. Für diese Arbeit bekam ich die Note „Sehr gut". Anschließend musste ich feststellen, dass ich über Wochen intensiv für den Papierkorb gearbeitet hatte. Meine Ingenieurarbeit hat niemand mehr genutzt.

Nun war ich schließlich Ingenieur geworden und hatte einen Arbeitsplatz mit Schreibtisch und Telefon. Was geschah jetzt? Zunächst nichts. Ich hatte wieder Zeit und sah mich um, was die anderen Kollegen machten. Die Gruppe SVP31 „Dieselprogramm" war zuständig für die „Produktionsvorbereitung". Der Ablauf war etwa folgender:

-     Die Absatzabteilung erhalt von außen einen Auftrag aufgezwungen und gibt als innerbetriebliche Bestellung ein „Auftragsklarstellungsblatt" unter anderem an die Produktionsvorbereitung.

-     Die Produktionsvorbereitung erstellt Stücklisten und Werk-Auftrags-Stammdatenblätter WAST zur WA-Nr. Eröffnung (Werk-Auftrags-Nummer). Dabei handelte es sich um Formulare, die an zentraler Stelle in den „Rechner" eingegeben wurden. Mit diesem Vorgang wurde die Materialbestellung in Gang gesetzt.

-     Der nächste Schritt ist die Erstellung der Fertigungsunterlagen und ihre Verteilung im Betrieb. Dazu wurden die WAST-Blätter 2 und 3 mit Tusche auf Transparentpapier geschrieben. Diese Blätter beinhalteten sämtliche Fertigungsunterlagen.

Da es sich um fertig entwickelte, typgeprüfte Serienerzeugnisse handelte, die wiederum von anderen Abteilungen „betreut" wurden, handelte es sich also um rein formale Sachbearbeitertätigkeit, die man sicherlich weitgehend einsparen konnte. Aber die betriebliche Bürokratie musste bedient werden und die war nicht auf Serienerzeugnisse eingerichtet. Diesen ganzen Vorgang hat mir nie jemand im Zusammenhang erklärt. Das alles musste ich mir selbst nach und nach zusammenreimen.

Man teilte mir etwas von der Arbeit zu, das die anderen Kollegen bisher ohne Mühe mit erledigt hatten. Fortan hatte ich also in Abständen immer wieder die gleichen Zahlen auf die gleichen Formulare zu schreiben. Arbeit gab es sonst noch, wenn nicht geplante Vorgänge auftraten und die betriebliche Bürokratie knirschte. Dann konnte man sich einsetzen und quer durch den Betrieb koordinieren. Damit wurde allerdings der Betriebsfrieden gestört, weil man andere Abteilungen ungeplant beschäftigte.

Natürlich gab es viel Leerlauf, der von den Kollegen unterschiedlich genutzt wurde. Es wurde zum Beispiel tagelang nach gesandeter Dachpappe oder Staubsaugern mit Aufrollautomatik für die Netzschnur telefoniert. Wenn solche begehrten Artikel endlich zu haben waren, wurden diese natürlich sofort und während der Arbeitszeit besorgt. Eine andere beliebte „Beschäftigung" war das „Frühstück". Zu allen möglichen Gelegenheiten, Geburtstag, Gehaltserhöhung, Urlaubsantritt, größere Anschaffung... musste von den Kollegen ein „Frühstück" gegeben werden. Damit waren sämtliche Kollegen von Einkaufen bis Abwaschen bis etwa 11 Uhr beschäftigt. Zur Sicherheit wurde dazu der Abteilungsleiter eingeladen, damit er nicht murrte. Dazu gehörte schließlich noch eine Flasche Hochprozentiges, wozu dann noch Nachschub organisiert wurde. Am Ende war der ganze Arbeitstag im wesentlichen vertan.

Was tut nun die Leitung unter diesen Umständen?

Der Abteilungsleiter sah seine wichtigste Aufgabe darin, alles unter Kontrolle zu behalten. Er hatte am liebsten jeden Kollegen von 7 bis 16.30 Uhr an seinen Schreibtisch gekettet und mit Videokameras überwacht. Aber die gab es damals kaum und schon gar nicht zu diesem Zweck. Dafür stieg er schon mal in seinem Büro auf einen Stuhl und guckte durch die Glasfensterchen in der Trennwand in das nächste Büro. Später, als nach der „Wende" die Gleitarbeitszeit eingeführt wurde, wand er sich in einer Beratung zu diesem Thema in Krämpfen und fragte „Wie soll ich denn das kontrollieren?". Die nächste wichtige Aufgabe war für ihn die Durchführung des Sozialistischen Wettbewerbs. Dazu gehörten diverse „Titelkampfe", das Brigadetagebuch, die „Schule der sozialistischen Arbeit", die Neuererbewegung, die Beteiligung an der Zivilverteidigung und später an Reservistenveranstaltungen. Für alles gab es Pünktchen. Jeder wurde zur Mitarbeit genötigt. Zu mir sagte er einmal: „Herr Schmidt, Sie wollten doch auch mal wieder was von mir?" All das wurde penibel in höheren Leitungsebenen ausgewertet, fand aber mit fortschreitender Zeit oft nur noch auf dem Papier statt. Weiterhin war eine wichtige Aufgabe des Abteilungsleiters, neue oder zusätzliche Arbeit abzuwehren! Wenn sie schon sein musste, dann nur mit zusätzlichen Planstellen, oder gegen Abgabe anderer Arbeit. Es durfte ja bei den Vorgesetzten nicht der Eindruck entstehen, dass die Abteilung nicht ausgelastet war.

Der nächste unmittelbare Vorgesetzte war der Gruppenleiter. In seiner Gruppe durfte niemand über ihn hinauswachsen. Die Kollegen wurden dazu erzogen, brav am aufgeräumten Schreibtisch zu sitzen und darauf zu warten, dass ihnen Arbeit zugeteilt wurde. Fachliches Wissen gab er nur soviel weiter, wie unmittelbar zur Erledigung der Aufgaben notwendig war, dabei hatte man sehr viel von ihm lernen können.

Dann gab es noch einen Sachgebietsleiter. Der „Mauerbau" 1961 hatte ihm einen Schlag versetzt. Seine Familie war getrennt und er durfte nicht einmal zur Beerdigung seiner Eltern nach Westberlin „reisen". „In diesem System" wollte er nicht mehr aktiv arbeiten.

In dieser Abteilung sollte ich mich nun an meinen Platz setzen, um bis zur Rente einiges Papier von links nach rechts zu schieben. Ich machte Ansätze, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, wozu hatte ich studiert? Aber Absolventen waren an ihren ersten Arbeitsplatz drei Jahre gebunden. Um Unruhe und Arger zu vermeiden, teilten meine Leiter mir dann doch „richtige Arbeit" zu. Es handelte sich um Notstromanlagen für die Deutsche Post, die in „atomsicheren", teils unterirdischen Bauten eingesetzt wurden. Diese Anlagen mussten genau nach den Vorgaben projektiert werden und wichen erheblich von den entsprechenden Serienerzeugnissen des Betriebes ab. Der Betrieb konnte diesen Auftrag nicht ablehnen, denn er wurde per „LVO"-Gesetz (Landes-Verteidigungs-Ordnung) durchgesetzt. Mittels LVO-Auftrag konnte jeder Plan durchbrochen werden. In meiner Gruppe wollte offenbar niemand aktiv arbeiten, ich wollte unbedingt Arbeit haben, also wurde es mein Projekt.

Schließlich war es abgearbeitet und ich hatte wieder Leerlauf. Daraus half mir eine Kollegin aus der Gruppe, die sich unterfordert fühlte und innerhalb des Betriebes wechselte. Ich übernahm ihre Arbeit. Nun ging es um Erzeugnisse für die Automatisierung der Stromerzeugung auf Schiffen.

Um diese Zeit waren die entsprechenden Erzeugnisse des Betriebes total überaltert und wurden durch eine Generation von grundsätzlich neuen ersetzt, die es damals auf dem Weltmarkt noch nicht gab. Erstmals wurde dazu eine „Mikrorechner“-Steuerung eingesetzt. Heute sagt man dazu Computer. Es war die „ASA", Automatische Steuereinrichtung für Stromerzeugungsanlagen. Kernstück war der erste Prozessor von Intel (USA), der „Urvater" der heutigen „Pentium"-Prozessoren. Dieser wurde in der DDR nacherfunden, und war bei Anlauf der Serienproduktion der ASA - im Westen und in der DDR - bereits veraltet! Die eigentlichen Rechnerbaugruppen kamen vom Kombinat Robotron, auch wurden im Betrieb einige spezielle Baugruppen entwickelt. Ich geriet nun gerade in den Übergang: Ablösung der alten Generation und Einführung der neuen, hinein (1980/81). Zunächst hatte ich natürlich wieder mit den schon beschriebenen rein formalen Aufgaben zu tun. Auch die ASA sollte ein fertig entwickeltes Erzeugnis sein, das sozusagen stromlinienförmig die Produktions-Vorbereitung und die Fertigung durchlaufen musste.

Bald traten aber Probleme auf. Die Programmierung der ASA musste immer wieder an neue Forderungen aus dem Schiffbau angepasst werden. Das konnte nur der Programmierer aus der Entwicklungsabteilung, der dadurch laufend von seiner eigentlichen Arbeit abgehalten wurde. Auf eigene Initiative lernten ein Kollege und ich programmieren. Wir organisierten uns dazu den nicht mehr benötigten Computer, auf dem die ASA-Programme getestet wurden. In den nächsten Jahren bis zur „Wende" haben wir immer wieder - unter Anleitung durch den Programmierer - an den Programmen der ASA gearbeitet.

Ein großes Problem war die Qualität der Baugruppen und der auf ihnen eingesetzten Bauelemente. Die größten Ausfalle gab es bei den Speicherschaltkreisen EPROM. Von ihnen fielen schon bei der betrieblichen Vorprüfung (Programmierung und Dauertest mit der fertigen ASA) rund 60 Prozent aus. Gleichzeitig kamen von den Werften ständig defekte Speicherbaugruppen zurück!

Nicht lange nach Beginn der Serienproduktion der ASA wollte das Kombinat Robotron die Produktion der bereits veralteten Baugruppen für die ASA einstellen. Je moderner ein Erzeugnis ist, um so schneller veraltet es! Unter diesen Umständen wäre eine neue Entwicklung fällig gewesen. Bis 1989 wurden aber nur die Speicherbaugruppen von Robotron durch eine eigene Entwicklung ersetzt.

Bis 1980 lagen die diversen Betriebsteile weithin in der Stadt verstreut. Es gab sogar Ladenbüros. Dann bezog mein Betrieb ein neues Werk in Berlin-Marzahn, das eine riesige Werkhalle, Bürohäuser, Flächen für Lager und Versand mit Bahnanschluss und auch Sozialgebäude erhielt. Daran wurde bis zur Wende ständig weitergebaut. Besonders die Werkhalle war sehr modern angelegt. In ihr wurde bald das „Automatische-Transport-System" ATS installiert. Das waren umgebaute Elektrokarren, die zentral gesteuert, ohne Fahrer, Material transportierten. Diese Errungenschaft wurde natürlich immer wieder den unterschiedlichsten Gästen bis hin zu Staatsoberhäuptern aus Ost und West vorgeführt. Das ATS konnte aber kaum genutzt werden, weil die Transportwege fast ständig wegen stockender Materialbereitstellung mit angearbeiteter Produktion zugestellt waren! Dazu gehörte später auch der ICA. Das war eine Kombination aus dem letzten und modernsten Computer von Robotron und einer im Betrieb entwickelten SPS, einer speicherprogrammierbaren Steuerung. Eingebaut in Stahlschränke zur Aufstellung in Produktionsbereichen, sollte dieses Erzeugnis zur Automatisierung in der Volkswirtschaft beitragen. Zum ersten Mai 1989 kam in der Berliner Zeitung die Erfolgsnachricht, dass der hundertste ICA fertiggestellt sei. In der Tat stand der Fertigungsbereich des ICA voller leerer Stahlschränke, weil Robotron nicht ausreichend liefern konnte und weil es Probleme mit den SPS gab.

In dieser Zeit wurde auch mehrmals die Entwicklung neuer Erzeugnisse für das Dieselprogramm und für die Ablösung der ASA begonnen. Aber diese Entwicklungen wurden immer wieder zugunsten anderer, dem Betrieb aufgezwungener Programme abgebrochen. Dazu gehörten LVO-Vorhaben und auch die Parteitagsinitiative „Die automatische Fabrik". Aber nichts davon wurde wirklich abgeschlossen und produktionsreif.

In dieser Situation war ich aktiv und reichte mehrfach Neuerervorschläge ein, die auch umgesetzt wurden. Weiterhin leitete ich eine Neuerervereinbarung zur Entwicklung einer neuen Steuerung für Notstromanlagen. Der Kern war eine SPS, die aber wegen zu hohen Energiebedarfs ungeeignet war. Ich erkannte das sehr bald, durfte das Thema aber nicht abbrechen, denn die Neuerervereinbarung war ein Vertrag der Neuerer mit dem Betrieb und fest im Sozialistischen Wettbewerb eingeplant. So wurde ein Muster gebaut, das im Prüffeld, sozusagen unter Laborbedingungen, auch funktionierte. Aber ein für den Einsatz taugliches Erzeugnis konnte daraus nicht entstehen.

Dann hatte ich noch bis zum Schluss mit der ASA zu tun. 1990 erlebte ich den Tag der D-Mark-Einführung bei der Erprobungsfahrt eines Frachters auf der Ostsee. Es war der erste einer neuen Serie und wir hatten ein letztes Mal die Programme der ASA angepasst.

Meine Arbeit wurde durchaus anerkannt. Ich überholte allmählich altgediente Kollegen im Gehalt und wurde auch einmal „Aktivist der sozialistischen Arbeit". Das gab natürlich bei einigen Kollegen, die meinten, sie wären viel eher „dran" gewesen, „böses Blut".

Was war nun der Nutzen all meiner Tätigkeit? Im Rückblick gesehen, konnte ich natürlich nur einige kleine „Löcher" stopfen. Aber ich lernte sehr viel, blieb beweglich und immer für Neues aufgeschlossen. Ich fand für mich keine Insel „der Seligen", aber ich konnte mich trotz der geschilderten Umstände in meiner Abteilung entwickeln. In der ersten Zeit nach der D-Mark arbeitete ich bereits zusammen mit anderen an der Projektierung von Notstromanlagen nach (westlichem) VDE-Standard. Auch das war eigene Initiative, niemand hatte uns einen Auftrag dazu gegeben. Bis heute (2001) -mein ehemaliger Betrieb ist nach langem Siechtum bis auf kleine Splitter zerschlagen - war ich, mit meiner Arbeit an Notstromanlagen, keinen einzigen Tag arbeitslos. Das verdanke ich in dieser Zeit, da ganze Industriezweige abgewickelt wurden, einigen günstigen Umständen, aber auch intensiver Arbeit in einem Kollektiv, das sich neu gefunden hatte.

Lutz Schmidt 


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