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In Dubna bei G. N. Flerov und I. Zvara
Im Nachfolgenden möchte ich über selbst erlebte Kooperation im Bereich der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung zwischen den RGW-Ländern berichten. Bekanntlich ist diese sehr kostenintensiv und wird auch heute in allen technisch progressiven Ländern staatlich finanziert.
Im Bereich der friedlichen Kernforschung war es das Vereinigte Institut für Kernforschung (VIK) in Dubna, Moskauer Gebiet, bei dem die DDR mit 10 Prozent des Jahresbudgets sich an der Finanzierung beteiligte. Hier konnte man sich auf der Basis einer dreijährigen Delegierung mit sehr interessanten Problemen befassen und weiteres fachliches Profil erlangen. Viele Wissenschaftler aus damals sozialistischen Ländern haben dort wesentliche experimentelle Ergebnisse für ihre Promotion oder Habilitation gewonnen. Die Dubnaer Theoretische Physik ist gleichfalls weltbekannt.
Im Herbst 1978 war es auch für mich so weit. Wir packten einen Container mit Sachen des persönlichen Bedarfs, und mit meiner Frau und unseren drei Kindern ging es nach Dubna. Waldemar Buschinski vom MWT hatte uns sehr feinfühlig auf die Gegebenheiten in Dubna vorbereitet und auch auf zu erwartende Probleme und Mängel hingewiesen.
Ich hatte mich um eine Arbeit am Laboratorium für Kernreaktionen (LJAR) bemüht, das von Georgi Nikolajewitsch Flerov geleitet wurde. Dort befanden sich mehrere Zyklotrons, an denen mit beschleunigten Schwerionen experimentiert wurde.
Der eine oder andere Leser wird wissen, daß Flerov zusammen mit Petrshak 1940 die Spontanspaltung des Uran entdeckt hat. (Es gibt viele, die auch heute noch der Ansicht sind, wären das keine Sowjetbürger gewesen, hätten sie dafür den Nobelpreis erhalten.) Auch später spielte Flerov in der Wissenschaft eine herausragende Rolle.
Zu meiner Dubnaer Zeit gab es eine sehr aktuelle globale Fragestellung in der Naturwissenschaft: „Gibt es noch eine weitere Stabilitätsinsel am Ende des Periodensystems der Elemente und ist der doppelt magische Kern mit der Ordnungszahl 114 und der Neutronenzahl 184 so langlebig, daß er in der Natur gefunden werden kann?“
Die Beantwortung dieser Frage würde eine Verifizierung bestehender physikalischer Modellvorstellungen bedeuten. Aber an der Entdeckung eines neuen chemisch handhabbaren Elements mitzuarbeiten (die Elemente mit einer Ordnungszahl > 101 sind sehr kurzlebig) hatte seinen besonderen Reiz. Natürlich gab es insbesondere bei den Syntheseversuchen am Zyklotron ein großes Gedränge der Chemiker.
Ich schlug einen anderen Weg ein und machte mich zunächst mit den am LJAR etablierten analytischen Methoden vertraut. Das waren vorrangig die Neutronen- und Photonenaktivierungsanalyse auf der Basis des dort vorhandenen Mikrotron sowie die energiedispersive Röntgenfluoreszenzanalyse. Aber auch diese Arbeiten wurden durch die Suche nach dem Element 114 bzw. seinen Nachbarn, den Superschweren Elementen, in der Natur dominiert. Es mußte von den verschiedenen geologischen Proben ja erst einmal die Zusammensetzung an bekannten Elementen bestimmt werden.
So war ich praktisch in das Lieblingsthema von Flerov involviert und nahm an vielen Beratungen teil. Dabei konnte ich seinen Arbeits- und Führungsstil kennenlernen, der ihn als echte enthusiastische Forscherpersönlichkeit auswies. Er dachte in den Beratungen laut nach, um uns so zu seinen Schlußfolgerungen zu führen. (Natürlich hatte er sich meist alles schon vorher überlegt.) Es kann auch nicht verwundern, wenn sein Führungsstil teilweise recht autoritär war. Er war eben ein Kind seiner Zeit. Mit am meisten darunter zu leiden hatte wohl Ivo Zvara (ČSSR), ein brillanter Kernchemiker, der die chemische Abteilung im LJAR leitete. Leider konnte sich Zvara als Chemiker nicht immer gegen den Physiker Flerov durchsetzen.
Bei Zvara stand insbesondere die „Gaschemie“ auf Spitzenniveau; es war sein eigenes Fachgebiet. Die „Flüssigchemie“ entsprach dem gehobenen Standard der Kern- und Radiochemie. Ich habe mich in dieser Abteilung in viele Trennoperationen hineinarbeiten können (Ionenaustausch, Extraktion, Extraktionschromatographie, Trennungen in der Gasphase) und an fachlichem Profil gewonnen. Es kann daher nicht verwundern, wenn man mich stärker in die Suche nach Superschweren Elementen in der Natur mit einzubeziehen versuchte. Dabei war es außerdem mein Part, am kleinsten Zyklotron (U-200) die radioaktiven Markierungssubstanzen für die Ausarbeitung neuer Trennoperationen zu synthetisieren und zunächst erst einmal ihrerseits abzutrennen. Diese Arbeit bereitete mir sehr viel Spaß - vor allem, weil ich bald darauf eine Operatorprüfung ablegen konnte und danach das U-200 eigenhändig bediente. Ich war damit unabhängig von den großen Experimenten mit ihrem Operatorbedarf geworden. Durch zahlreiche Diskussionen insbesondere mit K. Schilling (Rossendorf) und Y. V. Lobanov (Dubna) erwarb ich mir ein besseres Verständnis (mehr nicht!) für die Schwerionenphysik.
Nach nicht allzulanger Zeit versuchte Zvara, mich stärker in die „Gaschemie“ einzubeziehen. Es war mir sehr unangenehm, ihm einen Korb geben zu müssen; mich zog es mehr zur „Flüssigchemie“.
Noch einen Haken mußte ich schlagen: Eines Tages erwischte mich Flerov auf dem Gang und fragte mich geradeheraus, warum ich nicht stärker bei der Suche in der Natur mitmachen würde. Darauf erwiderte ich sinngemäß: „Ich bin hierhergekommen, um an Großgeräten zu arbeiten, über die meine Einrichtung nicht verfügt. Ich verspreche es Ihnen, wenn ich in die DDR zurückkomme, werde ich in der Natur suchen.“ Später erfuhr ich, daß bei einer kleinen Beratung jemand vorschlug, Langrock stärker bei der Suche in der Natur einzubinden. Flerov schmetterte das mit den Worten ab „Ernst versorgt uns stabil und solid mit Radiotracern, wir werden ihn in Ruhe lassen.“
Natürlich habe ich mich an die Absprache gehalten und später in der DDR mit der Suche nach Superschweren Elementen der Natur begonnen.
Gewiß gab es auch manche weniger angenehme Dinge in Dubna und der damaligen UdSSR. Darüber wird vielleicht später zu berichten sein. Täte ich dies jetzt, würde ich mich in schlechte Gesellschaft begeben. Ich will auch nicht den Fehler begehen, kleinkarierte persönliche Intrigen (die heutzutage noch viel häufiger vorkommen, man nennt es jetzt modernerweise „Mobbing“) nur einem System anzulasten. Das liegt wohl doch mehr im individuellen Bereich.
Nur eins will ich erwähnen. Ich bin meiner Frau Karin sehr dankbar, daß sie ihre ärztliche Tätigkeit drei Jahre an den Nagel gehängt hat, um mir den Dubna-Aufenthalt zu ermöglichen. Es war damals üblich, nach der dreijährigen Delegierungszeit noch ein bis mehrere Jahre Verlängerung zu beantragen, die in der Regel auch gewährt wurden. Ich konnte und wollte das nicht. Karin hätte dann ihre ärztliche Qualifizierung riskiert. Meine russischen Kollegen hatten kein Verständnis dafür, daß ich wegen meiner Frau nicht verlängerte. Die gleichberechtigte Rolle der Frau stand, wie bei uns, allzuoft nur auf dem Papier. Künftig antwortete ich auf entsprechende Fragen mit dem russischen Sprichwort „Rodina jest Rodina“ (Heimat ist Heimat). Dafür gibt es bei der russischen Seele volles Verständnis. So habe ich mich in Dubna nicht nur fachlich profilieren können, sondern auch gelernt, für eine Absicht die richtigen Worte zu finden, ohne sich dabei gleich die eigene Psyche zu verbiegen.
Heute kann konstatiert werden: Sowohl meine Frau als auch ich haben mit experimentellen Arbeiten den höchsten akademischen Grad „Dr. habil.“ erworben und dabei noch drei Kinder großgezogen. Man wird künftig noch mehr suchen müssen, um ähnliche Beispiele zu finden.
Dr.
Ernst-Jürgen Langrock
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