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Irren ist menschlich

 Das Entscheidende ist die Arbeitsproduktivität! Stammt das von Marx oder Lenin? Ja, davon hatte ich im Mai 1952 noch nie etwas gehört. Aber ich war in einer aufblühenden und bevorzugten Region angekommen und wollte auch etwas davon haben.

So kam es, daß ich Arbeiter im Eisenhüttenkombinat wurde, dort verdiente ich dreimal mehr als im Handwerksbetrieb. Eine sehr interessante Arbeit als Betriebs-Meß-und-Regelmechaniker. Lehrgang bei Junkalor in Dessau, Umschulung im Betrieb. Kostenlos und während der Arbeitszeit.

Vor vier Jahren noch in Buchenwald! Alles vergessen - nein, verdrängt? Eigentlich - ja! Keiner, auch nicht die Freunde und Bekannten in der Heimat, stellten Fragen. Und, wie immer in meinem Leben, war Arbeit die beste Ablenkung - ohne Arbeit hat das Leben keinen Sinn.

Im EKO wurde ich wieder für kurze Zeit Mitglied des FDGB, hier begann dann die Odyssee der ständigen Einbeziehung in die gesellschaftliche Arbeit. Von den Erfolgen zeugen die zahlreichen Ehrenurkunden und Auszeichnungen.

Als Mitglied der Abteilungs-Gewerkschaftsleitung wurde ich das erste Mal geschult, es begann sich meine marxistische Grundeinstellung zu entwickeln, ganz freiwillig, ohne Zwang, ohne Hintergedanken, einen guten Posten zu erhalten oder, wie heute bei den meisten Politikern, ohne Arbeit viel Geld zu kassieren.

In diesem Jahr erfüllte ich die erste der drei Aufgaben, welche der Mann zu erfüllen hat: einen Sohn zu zeugen. So bekam ich nach Heirat und Geburt des ersten Sohnes ohne Probleme eine Wohnung, die ich am Tag der Namensgebung „Stalinstadt“ für die Wohnstadt des EKO das erste Mal besichtigte. Da ich nicht in der Lage war, die Wohnung einzurichten, bekam ich vom Werk Möbel fast kostenlos geliehen.

Die zweite Aufgabe eines Mannes, einen Baum zu pflanzen, wurde an vier verschiedenen Orten übererfüllt, ein Haus baute ich erst im Kapitalismus.

Es war eine angenehme Arbeit im EKO, Weiterbildung kein Problem, Mittagessen für Pfennige, Gesundheitsversorgung im Werk, der Verdienst überdurchschnittlich. Die Zusammenarbeit mit den Kollegen und Meistern war sehr gut.

Aber wir waren 1952/1953 einige Uhrmacher im Betriebsteil. Und obwohl alles sehr interessant war und ich im EKO in Sachen Elektrotechnik viel gelernt habe, konnte ich die Uhrmacherei nicht vergessen. So beschlossen wir, mit einem älteren Kollegen eine Uhrmacherwerkstatt innerhalb der im Mai 1953 gegründeten PGH aufzubauen. Diese Produktionsgenossenschaft des dienstleistenden Handwerks war aus einem ehemaligen volkseigenen Dienstleistungskombinat geschaffen worden, für sozialistische Verhältnisse eigentlich ein gesellschaftlicher Rückschritt.

Am 2. Januar 1954 begannen wir mit der Arbeit, sie lief gut an, im Sommer waren wir schon fünf Beschäftigte. Der ältere Kollege hatte die Leitung der Werkstatt übernommen, leider setzte er sich im Juni in Richtung Westen ab. Genaue Gründe kenne ich nicht, aber es gab Differenzen mit einem leitenden Mitarbeiter der PGH und SED-Mitglied, welcher seine Genossen mit „Parteigenosse“ ansprach. So war ich plötzlich und ungewollt Chef, oder, wie es offiziell hieß, „Gewerkeleiter“ und gleichzeitig HO-Verkaufsstellenleiter geworden. Beide Betriebe arbeiteten im gleichen Geschäft.

Danach kamen mehr als fünfzehn Jahre, in denen ich voll und meist zufrieden arbeiten konnte, dazu dann Meisterprüfung im Handwerk, Abschluß der 10. Klasse und Lehrmeister.

In der 1961 in „Eisenhüttenstadt“ umbenannten Stadt kamen wohl in der Mehrheit überzeugte Sozialisten zusammen, dazu die genossenschaftliche Arbeit, wo jeder an einem guten Ergebnis interessiert ist, damit Gewinn gemacht wird. Persönliche Verantwortung zu tragen, war bis 1971 kein Problem. Freunde und Genossen waren immer da, ich wurde nie alleingelassen.

Wie schnell ich mich in Richtung Sozialist entwickelte, erschreckt mich heute. Die „Medaille für treue Dienste in den Kampfgruppen“ bekam ich am 1. Mai 1969. Sie wurde nach fünfzehn Jahren verliehen, das heißt, ich bin schon 1954 Mitglied geworden. Wozu gab es Kampfgruppen? Nicht, um auf friedliche Demonstranten zu schießen, sondern um Betriebe und Einrichtungen zu schützen. Wir waren Tag und Nacht am brennenden Wald, wir verbrachten Nächte auf dem Ratzdorfer Oder-und-Neiße-Damm. Wir waren am 13. August 1961 zur Agitation auf dem Bahnhof. Angelangt bei der Mauer, aber wo wären wir hingekommen ohne sie? Die besten Leute nach Westen, die Kriminellen haben freien Zugang und Ausgang. Klar, die Wirtschaft wäre schneller am Ende gewesen. Wir hätten keine Honecker und Mittag mehr gebraucht, um die Sehnsucht nach der D-Mark zu aktivieren. Nur einen Gorbatschow gab es noch nicht, welcher zusammen mit den Demonstranten die Einheit ermöglichte. Eine Einheit, die vor vierzig Jahren von den Westmächten bzw. von Adenauer verhindert worden war. Stalins Angebot verlangte die Neutralität Deutschlands. Aber die Rüstungsprofiteure wollten ja verdienen. Hatte Adenauer vielleicht auch schon schwarze Konten? Bestimmt, sonst hätten die Zwangsarbeiter nicht fast sechzig Jahre auf Entschädigung warten müssen!?

Gesellschaftliche Arbeit - von der Archäologie bis zum Lehrplan für die Berufsausbildung - gehörte zu meinem Leben und ich habe dafür Anerkennung erfahren.

Nie wieder habe ich so viele ehrliche Genossen getroffen, wie in Eisenhüttenstadt, nur eines hat mich dort immer sehr geärgert: die Einstellung des Partei- und Staatsapparates zur PGH. Es verging kein Monat, in dem nicht Kritiken - berechtigte und unberechtigte - in der Zeitung erschienen, ich hatte immer den Eindruck, daß der Unmut der Bevölkerung nur in Richtung PGH gelenkt wurde. Mit Erfolg, denn in unseren Geschäften war der Anteil der unberechtigten Beschwerden oder frech auftretenden Kunden auffallend hoch. Nicht einmal in einem schlecht arbeitenden volkseigenen Betrieb in Cottbus habe ich später ähnliches erlebt, schon gar nicht als selbständiger Handwerker in Vetschau.

Wie die Genossenschaften behindert wurden, zeigt die Gewinnverwendung. Entweder war sie vorgeschrieben oder mußte genehmigt werden, der Rest kam auf ein Sperrkonto. Der später wieder ins Leben gerufene volkseigene Dienstleistungsbetrieb war unrentabel und kostete die Stadt jährlich über hunderttausend Mark Zuschuß.

Diese negative Einstellung zum Handwerk bekam mein ältester Sohn zu spüren, er wollte gern Rundfunk- und Fernsehmechaniker werden. Für mich wäre es kein Problem gewesen, ihm eine Lehrstelle in unserer Genossenschaft zu besorgen. Schließlich wurde mein Sohn Meß- und Regelmechaniker im Eisenhüttenkombinat, da das Handwerk „fünftes Rad am Wagen“ war.

Die höhere Arbeitsproduktivität ist das Entscheidende für den Sieg der neuen Gesellschaftsordnung, hatte Marx formuliert. Nein, das hat Lenin gesagt, belehrte mich ein PDS-Genosse. Wie dem auch sei, die Produktivität ist in jedem Betrieb jeder Gesellschaftsordnung das Entscheidende. So entwickelte ich Pläne zur Arbeitsteilung bei der Uhrenreparatur, und so konnte ich 1969 mit einer Handwerkerdelegation nach Moskau, in das Land Lenins fliegen. In Moskau wurde schon nach einer solchen Technologie gearbeitet. Die Reise war ein unvergeßliches Erlebnis. Wahre Freundschaft mit den Menschen Moskaus.

Die Technologie war machbar, aber eine rentable Auslastung nicht gewährleistet. So bekam ich immer mehr Probleme und Auseinandersetzungen mit dem Chef der Versorgungswirtschaft beim Rat des Bezirkes Frankfurt/Oder. Nachdem ich auch von der Bezirkshandwerkskammer keine Unterstützung erhielt, kündigte ich meinen Werkstattleiterposten. Mit der Verstaatlichung der halbstaatlichen Betriebe und produzierenden Genossenschaften hatte Honecker inzwischen den Untergang der DDR eingeleitet. 1977 versuchte ich es noch einmal als Chef in einem volkseigenen Betrieb in Cottbus, dort war alles so schlecht, daß ich mich 1978 in Vetschau selbständig machte.

Während Marx meines Wissens in einer Fehleinschätzung jeden Handwerker zu einem künftigen Ausbeuter machte, zeigen meine Darlegungen, was in künftigen Sozialismus-„Versuchungen“ beachtet werden müßte. Beispielsweise Handel und Versorgung, Handwerker und Dienstleister aller Eigentumsformen im marktwirtschaftlichen Wettbewerb. Dagegen Banken, Rüstung, Gesundheitswesen usw. nur staatlich.

Für meine Söhne habe ich gelebt und gearbeitet, für eine gerechte Gesellschaft gewirkt. Wie gut der Sozialismus war, wollte ich beschreiben. Herausgefunden habe ich, warum alles umsonst war.

                            Werner Kieper 


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