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Vorwort 

1996 trafen sich in einer norddeutschen Kreisstadt ehemalige Gymnasiasten der Jahrgänge 1926/27, von denen mehr als die Hälfte Wessis waren. Man kannte sich mehrheitlich schon seit 1937. Es war eines jener nützlichen Ost-West-Treffen, wie sie in jenen Jahren wohl zu Tausenden stattfanden.

Ein Wessi sagte, adressiert an die Ossis: "Ihr habt ja nun 40 Jahre eures Lebens verloren und...". Weiter kam er nicht, denn es erfolgte von Ost wie West spontaner heftiger Einspruch. Minutenlang redeten alle lautstark durcheinander und machten erhebliche, wenn auch z. T. kontroverse Argumente gegen diese These geltend (worunter der in dieser Runde übliche Geist gegenseitiger Freundschaft und Toleranz nicht litt). 

Wie steht es nun um das von der gängigen bundesweiten Meinung (dem "mainstream", wie man in heutigem Deutsch sagt) behauptete verlorene Leben in der DDR, um dessen angebliche Sinn- und Wertlosigkeit? In diesem Buch, dem dritten einer unabhängigen Autorengemeinschaft, melden sich 75 Autoren zu Wort, die über ihr Erleben der DDR-Zeit berichten. Es sind Altgewordene und auch solche im "besten Alter", Frauen und Männer, von der kinderreichen Hausfrau über Arbeiter, Bauern, Handwerker, Pädagogen, Krankenschwestern und Ärzte, Leute von Funk und Theater, Angehörige der bewaffneten Organe, Staats- und Parteifunktionäre der mittleren Ebene - bis hin zu Professoren und Vertretern unterschiedlicher Wissens- und Forschungsgebiete. 

Ihnen allen ist gemeinsam, daß sie - keineswegs frei von Irrtümern, aber immer lernend - für die DDR im Sinne ihrer aus Kriegs- und Nachkriegserlebnissen gewachsenen, auf Frieden und Menschlichkeit gerichteten sozialistischen Visionen und Ideale hart arbeiteten - mitunter gegen erhebliche Widerstände auch aus den "eigenen Reihen" und bedrängt von manchen Freiheitsbeschränkungen und materiellen Sorgen; daß sie achtunggebietende Leistungen für die Gesellschaft erbrachten und felsenfest von der historischen Berechtigung ihrer Ziele und ihres Wollens überzeugt waren - und daß sie letztlich durch den bekannten Gang der Geschichte auf die Verliererstraße gerieten (wofür in vielen der Beiträge immer wieder auf das Warum hingewiesen wird). 

Wie sinnvoll oder sinnlos, wie wertbeständig oder verloren waren für sie die 40 Jahre? 

Sie erkennen sie sehr wohl als sinn- und wertvoll und bekennen sich nach wie vor zu dem, was sie in der DDR-Zeit wollten und arbeitend erstrebten. 

Sie stehen hier, obwohl jeder nur für sich selbst spricht, für Hunderttausende, die Ähnliches erlebten und ähnliche Antworten auf Fragen nach Sinn und Wert ihres Lebens geben. 

Nur 75 von Hunderttausenden? Das bedeutet, daß in Inhalten und Formen der Texte eine gewisse, unvermeidliche Zufälligkeit waltet. Manche wichtige Bereiche des DDR-Lebens werden kaum berührt, während andere besonders hervortreten. Versierte Schreiber und Publizisten stehen zwischen ungeübten, lange gewichtige Ausführungen neben ganz kurzen Schilderungen und Bekenntnissen (denen keineswegs weniger Gewicht zukommt!). Es gab bewußt keinerlei verbindliche Vorgaben an die Schreibenden über das konkrete Was und Wie. Jeder schrieb in seiner unverwechselbaren Persönlichkeitshandschrift, was und wie es ihm richtig schien. So entstand eine ungemein farbige Vielfalt, die die Vielfalt des realen individuellen Erlebens spiegelt. Die Redakteure versuchten, die 79 Beiträge in Themengruppen zu ordnen, was sich nur sehr schwer machen ließ, weil die Mehrzahl der Texte vielen solcher Themengruppen zugeordnet werden könnte. 

Man wird dem Vorhaben wohl nur gerecht, wenn man es als eine Dokumentation gelebten Lebens begreift, deren im Kampf für Frieden, Menschlichkeit und sozialen Fortschritt hoch engagierte Autoren sich durch Wahrheitsliebe, Ehrlichkeit, persönliche Integrität und durch aus Erfahrung gewachsenem konsequenten Antifaschismus auszeichnen. 

Sie sind sich darin einig, daß ihre Erfahrungen auch auf Zukünftiges verweisen, denn was sie erkannten, wird wichtig sein für das Verständnis und Meistern zu erwartender, ja, unvermeidlicher künftiger gesellschaftlicher Entwicklungen. Mit ihren Beiträgen meinen sie, ohne es direkt auszusprechen: 

"Die Enkel fechten's besser aus!" 

Redaktionskollektiv 

der unabhängigen Autorengemeinschaft

 "So habe ich das erlebt"


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