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Kompetente Helfer

 Wir sind das Strandgut unsrer Zeit

und stehen hart am Nichts -

Gebt uns ins neue Leben das Geleit

und einen Schimmer Lichts.

 Mit diesen Worten kennzeichnete ein unbekannter junger Dichter den Zustand der deutschen Nachkriegsjugend.

Als wir deutschen Antifaschisten uns unmittelbar nach der Befreiung der Aufgabe stellten, die Hinterlassenschaft des Naziregimes in ihren Köpfen zu beseitigen, war das geistige Trümmerfeld in Deutschland noch größer als das materielle.

Deshalb ergriffen wir in Falkenstein und im Kreis Auerbach noch vor jeder zentralen Anleitung die Initiative und begannen mit der Jugendarbeit, für die uns die neuen sozialistischen Stadtväter von Falkenstein eine Parkvilla zur Verfügung stellten. Als später die zentrale Richtlinie zur Tätigkeit der antifaschistischen Jugendausschüsse eintraf, stimmten die von uns festgelegten Grundsätze völlig mit ihr überein.

Unvergessen bleibt mir eine persönliche Anleitung von Hermann Axen, der uns in Falkenstein besuchte. Er verlor kein Wort über seine illegale Arbeit oder die Jahre im Konzentrationslager, zeigte auch nicht die im Unterarm eintätowierte KZ-Nummer, sondern gab uns Hinweise, Ratschläge und vor allem Mut zur Bewältigung der riesigen Aufgaben.

Unsere wöchentlichen Heimabende wurden zunehmend besser besucht und vermittelten den Jungen und Mädels viele neue Erkenntnisse. So hörten sie erstmals aus dem Munde des früheren Falkensteiner Pionierleiters Herbert Weidlich die Wahrheit über das Leben und Sterben in den faschistischen Konzentrationslagern. Herbert hatte acht Jahre in Buchenwald verbringen müssen. Ein jüdisches Mädchen berichtete über ihre Erlebnisse in Theresienstadt.

Besonders ausführlich beschäftigten wir uns mit Leben und Kampf des aus Falkenstein stammenden legendären Revolutionärs Max Hoelz. Seine Autobiographie „Vom weißen Kreuz zur roten Fahne“ hatten Arbeiter über die Nazizeit gerettet und stellten sie uns nun zur Verfügung.

Andere Abende galten dem von den Nazis verleugneten deutschen Dichter Heinrich Heine, der Autobiographie Bruno H. Bürgels „Vom Arbeiter zum Astronom“, den Themen „Fliegen - Fluch oder Segen der Menschheit“ sowie „Für und Wider in der Heimatdichtung“ und vieles Interessante mehr. Dabei erwarb der Falkensteiner Jugendleiter - ich war damals 27 Jahre alt - jedenfalls mehr Wissen, als er selbst zu geben vermochte.

Mit Genugtuung stellten wir fest, daß sich unsere Jugendlichen bald eine eigene Meinung zu bilden und diese in Diskussionen streitbar zu vertreten begannen. Sie gehörten auch zu den ersten, die an den Fenstern der vier im KZ ermordeten Falkensteiner Arbeiterfunktionäre Kränze und Blumen anbrachten.

Nach Gründung der Freien Deutschen Jugend war ich in der Bezirksjugendschule Chemnitz (Warmbad-Wolkenstein) sowie der Landesjugendschule Sachsen („Mohrenhaus“, Radebeul bei Dresden) tätig.

Die zentral beschlossenen Lehrpläne sahen seit Anfang 1946 auch das Auftreten der Vorsitzenden von KPD/SPD bzw. SED, CDU und LDPD sowie weiterer führender Persönlichkeiten des demokratischen Neubeginns vor. Dadurch kam es u. a. zu interessanten Begegnungen mit Otto Buchwitz, Otto Nuschke, Prof. Hermann Kastner, Prof. Hugo Hickmann, Max Seydevitz und anderen Funktionären. Besonderen Eindruck hinterließen aber auch stets der Chemnitzer Pfarrer Kirsch, der Chef des Dresdner Hygienemuseums, Dr. Neubert, und der Kunsttheoretiker Professor Herbert Gute.

Als erste Lehrer an den sächsischen Jugendschulen bewährten sich erfahrene Antifaschisten wie u. a. Gertrud Simonis, Hannes Keusch, Gerhard Zeidler, Hans Jakobus und Hans Gossens, aber beispielsweise auch der ehemalige Naturfreund Herbert Kühne oder der „Edelanarchist“ Willi Arlt.

An dieser Stelle sei besonders an den von allen Schülern hochverehrten Willi Kluge erinnert, den die Nazis in Gefängnis und Strafbataillon gequält hatten. Er war der Prototyp des reifen, belesenen, feinfühligen und geduldigen Jugenderziehers. Leider wurde er uns bereits im Alter von 36 Jahren durch den Tod entrissen.

Seit dem Frühsommer 1947 war ich Leiter der Landesjugendschule „Mohrenhaus“ in Radebeul bei Dresden.

Quelle: Privatarchiv Dr. H. Mrowetz

Landesjugendschule „Mohrenhaus", Radebeul bei Dresden

 Ich erinnere mich, daß wir auf Festlegung des Zentralrates bzw. der Landesleitung der FDJ außer unseren „normalen“ Lehrgängen manchmal auch Sondermaßnahmen vorzubereiten und durchzuführen hatten. In Erinnerung geblieben sind mir ein Lehrgang für die Leiter von Ferienlagern ein anderer zur rhetorischen Ausbildung oder auch die Schulung von Funktionären der FDJ-Betriebsgruppen nach dem 1. Jungaktivistenkongreß in Hirschfelde vom Mai 1948.

Besonders interessant war allerdings der Auftrag des Zentralrates der FDJ, einen „Lehrgang Junger Autoren“ durchzuführen, für den ein Sonderlehrplan erarbeitet wurde. Da der Schriftstellerverband der DDR erst Jahre danach gegründet wurde, war dies auch aus heutiger Sicht eine kluge Maßnahme zur Förderung junger Schriftsteller. Denn mit Unterstützung der zentralen Organe gelang es uns, einige namhafte Geistesschaffende für Vorträge und Seminare zu gewinnen. In Erinnerung blieben mir besonders Ludwig Renn, Walter Viktor, Prof. Victor Klemperer, Stefan Hermlin, Kuba, Boris Djacenko und Jan Koplowitz. Anna Seghers hatte zunächst auch zugesagt, mußte dann aber leider einer anderen Verpflichtung nachkommen. Aus meiner Sicht war es ein erfolgreicher Lehrgang, der den Teilnehmern gute Anregungen vermittelte. Wie ich von einigen weiß, haben sie ihn auch bis heute nicht vergessen.

Im Gründungsjahr der DDR führte mein eigener Weg danach als Lehrer an die Jugendhochschule Bogensee. Später übernahm ich in Vorbereitung der III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten gemeinsam mit dem Komponisten und Spanienkämpfer Eberhard Schmidt die Verantwortung für die „Nationale Kulturgruppe der FDJ“, bis diese in das „Staatliche Volkskunstensemble der DDR“ überführt wurde.   

Dr. Hans Mrowetz 


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